Sie sind ausgebildete Lehrer, Grafiker, Gastronomen und Computerexperten. Jetzt arbeiten sie an sechs Tagen in der Woche täglich 10 Stunden, während andere Menschen um sie herum Urlaub machen. Ihre Aufgabe besteht vor allen Dingen darin, die Badegäste an den Stränden der Algarve immer wieder auf die Gefahren des Meeres aufmerksam zu machen und sie notfalls aus lebensbedrohlichen Situationen zu retten. Ein Traumjob? Ja, sagen sie – die nadadores-salvadores..
Es ist neun Uhr, als die beiden Rettungsschwimmer Ruben und Bruno ihren Dienst am Strand von Monte Clérigo antreten. Ruben schließt die schlichte Holzhütte auf und bringt das nötige Equipment an die Station der salvadores am Strand. In der Zwischenzeit geht Bruno den Strand ab und prüft sehr genau das Meer und die Strömung des Wassers. Der Strand ist noch menschenleer, aber spätestens um die Mittagszeit wird er sich deutlich gefüllt haben. Es ist Samstag und so erwarten die beiden neben den üblichen Touristen auch noch zahlreiche einheimische Besucher.
Bruno hisst die grüne Flagge, die allen Strandbesuchern signalisiert, dass grundsätzlich im Meer gebadet werden kann und geht anschließend mit zwei gelb-rote Fahnen in Richtung Meer, um den genauen Badeabschnitt für die kommenden Stunden zu markieren. Im Verlauf des Tages wird sich die Strömung des Meeres immer wieder ändern, so dass der Bereich, in dem gefahrlos gebadet werden kann, regelmäßig neu festgelegt werden muss. Ein besonderes Augenmerk legt Bruno dabei auf die rip currents. „Rip currents sind Brandungsrückströme. Sie entstehen, weil dem Strand vorgelagerte Sandbänke unter der Wasseroberfläche Kanäle bilden, durch die das auf- und ablaufende Wasser wieder zurück ins Meer fließt.“ erklärt Bruno. „Dabei entsteht eine starke, langgestreckte Strömung, die die Badegäste weit ins offene Meer tragen kann. Geraten Menschen in eine solche Strömung, machen sie meistens den Fehler, dass sie versuchen gegen die Strömung wieder an Land zu schwimmen. Das ist in der Regel ein hoffnungsloses Unterfangen und führt zur totalen Erschöpfung. Bemerken wir, dass ein Badegast in einen solchen rip current geraten ist, schwimmen wir zu ihm und helfen ihm die Strömung seitlich zu verlassen.“ Damit es aber erst gar nicht dazu kommt, stellt Ruben an den riskanten Stellen zusätzliche Warnschilder auf.
Es sind aber weniger die Naturgewalten, die für die Menschen am Strand die größte Gefahr darstellen. „Im Gegenteil, wenn Du die Strömung kennst, kannst du sie sogar dafür nutzen ohne größere Kraftanstrengung zu den Hilfebedürftigen zu gelangen“, erläutert Ruben. Es ist vielmehr Unwissenheit und Ignoranz einiger Urlauber, die von den meisten Rettungsschwimmern als größte Ursache dafür genannt wird, dass Menschen an den Stränden in Not geraten. „Viele Menschen überschätzen sich und nehmen unsere Warnungen nicht ernst.“, erklärt Ruben. „Es gab einmal eine Touristin aus Australien, die trotz roter Fahne unbedingt Schwimmen gehen wollte. ‚Ich habe keine Angst! ‘ hat sie uns erklärt.“ erzählt Bruno lachend. „Wir haben sie glücklicherweise davon abbringen können ins Wasser zu gehen“. Aber nicht immer gehen solchen Situationen glimpflich aus. Ruben wird ernst als er folgende Geschichte erzählt: „Einmal konnte ein Mann auch durch mehrfache Aufforderungen nicht davon abgehalten werden schwimmen zu gehen – obwohl absolutes Badeverbot herrschte. Er wurde dreimal aus dem Wasser gerufen. Dann hat er gewartet, bis die Rettungsschwimmer ihren Dienst beendet hatten und ist dann ins Wasser gegangen.“ Rubens Blick wandert zu den Klippen, die den Badestrand auf der Südseite umsäumen. „Am nächsten Tag haben sie ihn im Wasser zwischen den Felsen gefunden. Tot.“
Praia de Odeceixe gehört wohl mit zu den bekanntesten Stränden der Algarve. „Hier kommt zu den Strömungen des Meeres noch die Strömung des Flusses Ribeira de Seixe hinzu, der in Strandnähe ins Meer fließt.“ erläutert Ricardo, der hier arbeitet. „Das führt je nach Tide und Windbedingungen zu noch komplexeren Bedingungen im Wasser als an anderen Stränden.“ Ricardo ist, wie Ruben und Bruno, einer von über 5400 Rettungsschwimmern, die in Portugal ihren Dienst leisten.
„Es gab eine Zeit, da lief in meinem Leben nicht alles nach Plan und so bin ich täglich im Meer schwimmen gegangen.“, erzählt Ricardo. „Nach einer Weile habe ich mir überlegt, dass eine Arbeit als Rettungsschwimmer das Richtige für mich sein könnte und habe mit der Ausbildung begonnen.“
Die Ausbildung umfasst ein Programm von insgesamt 150 Stunden. Themen wie Rechtskunde, Geschichte der Lebensretter und Morphologie der Strände werden dabei im theoretischen Teil der Ausbildung vermittelt, während der praktische Teil zusätzlich Erste-Hilfe-, Wiederbelebungs- und allgemeine Rettungstechniken umfasst. Das abschließende Examen beinhaltet eine schriftliche und eine mündliche Prüfung. Hinzu kommen zwei praktische Tests, bei denen die zukünftigen salvadores ihre physische Ausdauer unter Beweis stellen müssen: 100m in weniger als 1:40 Minuten und 400m in weniger als 9:15 Minuten schwimmen. Außerdem muss ein Dummy vom Grund eines Schwimmbeckens „gerettet“ werden.
Die Studentin Helena, die den Praia do Amado überwacht, gehört zu den 14% weiblichen salvadores in Portugal. „Ich spiele schon seit vielen Jahren Wasserpolo und fühle mich daher im Wasser sehr sicher.“, berichtet sie. „Irgendwann einmal hat mich ein Mannschaftskollege angesprochen und gefragt, ob ich nicht Rettungsschwimmerin werden will.“ Es ist ihr erstes Jahr als salvadora und sie hat schon einiges erlebt. Neben vielen Verletzungen durch Surfbretter und Felsen ist es vor allem die Geschichte einer Mutter, die sie nachhaltig berührt. „Ihre Kinder waren im Meer baden und nach einiger Zeit hatte die Mutter sie aus den Augen verloren und bat mich um Hilfe. Ich bin mehrmals ins Wasser gegangen, um nach den Kindern zu suchen“, erzählt Helena „, aber ohne Erfolg. Die Frau wurde immer verzweifelter und ließ sich schließlich wild und hysterisch schreiend auf den Boden fallen.“ Nach einer Weile stellte sich heraus, dass die beiden Kinder beim Baden von der Strömung den Strand entlang getrieben worden waren und an einer entlegenen Stelle unbeschadet aus dem Wasser gegangen waren. Alles war wieder in bester Ordnung, aber die Mutter stand weiter unter einem Schock. „Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht einmal mehr atmete.“, erzählt Helena bewegt. „Sie konnte nicht begreifen, dass ihre Kinder gerettet waren. Erst als ich die Frau mit beiden Armen fest umklammert habe, konnte ich ihr aus dieser Situation heraushelfen.“
Spätestens nach derartigen Vorfällen wächst der Respekt der Betroffenen für die Aufgaben und Wichtigkeit der Rettungsschwimmer deutlich. Dann kommt beispielsweise ein Vater am nächsten Tag nochmal persönlich vorbei, um sich mit tränenerstickter Stimme für die Rettung seiner beiden Töchter zu bedanken ‚Die beiden sind doch das einzige, was ich habe!‘ Das kann einem ganz schön nahe gehen. „Manchmal ist es auch nur der dankbare Blick eines Geretteten, der mir deutlich macht wie sinnvoll und erfüllend meine Arbeit hier ist“, sagt Ricardo und erzählt von einer weiteren Rettung: „Eines Tages wurde ein kleines Mädchen von einem rip current erfasst. Mit jedem Meter, den sich das Kind vom Strand entfernte, wuchs seine Verzweiflung. Die Strömung trieb das Kind direkt auf ein paar Felsen zu, um dann im letzten Moment die Richtung zu ändern und das Kind ins offene Meer zu tragen. Ich konnte seine Todesangst spüren. Ich schwamm so schnell ich konnte zu dem Mädchen hin. In dem Moment, als ich das Kind packte konnte ich spüren wie die Panik schlagartig abfiel und das Mädchen sich entspannte. Gemeinsam konnten wir zurück an den Strand schwimmen.“ Ricardo schaut aufs Meer hinaus. Diese Geschichte wird ihm noch lange in Erinnerung bleiben.
„Verantwortungsbewusstsein!“, antwortet Fabio vom Praia da Arrifana auf die Frage, welche Voraussetzungen für die Tätigkeit als Rettungsschwimmer wichtig sind. „Die meisten Besucher geben ihre Verantwortung am Eingang zum Strand ab, da sie diesen Ort wohl für ein ungefährliches Gebiet halten.“ erklärt er weiter. „Manchmal schlafen Eltern einfach im Sand ein und lassen ihre kleinen Kinder unbeaufsichtigt im Meer spielen.“ „Oder sie gehen in die Strandbar“, ergänzt sein Kollege, der auch Bruno heißt. Theoretisch ist jeder Rettungsschwimmer für einen fünfzig Meter langen Strandabschnitt verantwortlich, und die Badezonen entsprechend darauf abgestimmt. Aber gerade an einem lang gezogenen Strand, wie dem Praia da Arrifana, der mit maximal drei Rettungsschwimmern besetzt ist, wollen und können die salvadores ihre Aufmerksamkeit nicht auf 50 Meter beschränken. Ein persönliches Dilemma zwischen Vorschriften und persönlichem Anspruch.
„Außerdem solltest Du in der Lage sein Körpersprache zu deuten.“, erklärt Bruno weiter. „Nicht jeder der hier ins Meer geht kann schwimmen oder surfen. Da siehst Du schnell, auf wen Du ein Auge haben solltest.“
Und manchmal braucht es auch ein gehöriges Maß an Einfühlungsvermögen. „Es kann durchaus vorkommen, dass Du von jemandem, der in Not geraten ist, wieder weggeschickt wirst“, erzählt Fabio etwas betreten. Zu groß ist die Scham von einem Rettungsschwimmer an Land gebracht zu werden. Und so versuchen die Hilfebedürftigen verzweifelt, sich aus eigener Kraft aus ihrer Lage zu befreien. „Erst wenn die völlige Erschöpfung eintritt, haben diese Personen die Bereitschaft Hilfe von uns anzunehmen.“
Die meisten der Rettungsschwimmer sind schon seit frühester Kindheit mit dem Meer vertraut. Sie kennen sich aus mit Wellen, Wind, Strömung und Tide. Nicolas vom Praia da Amoreira ist am Meer groß geworden – allerdings nicht an der Algarve, sondern in Argentinien. Bevor er vor vier Jahren nach Portugal kam, hatte er bereits ein Jahr in Brasilien als Rettungsschwimmer gearbeitet. „Dort hatten wir zweistöckige Schutzhütten!“, schwärmt Nicolas von seinen damaligen Arbeitsbedingungen. Hier am Praia da Amoreira teilen sich die Rettungsschwimmer eine kleine Hütte mit dem lokalen Surfboard-Verleih. Sein Kollege Luis arbeitet bereits seit 1993 als Rettungsschwimmer und ist damit ein Veteran unter den salvadores. „In den ersten Jahren haben wir uns mit den Dingen, die wir am Strand gefunden haben unsere Hütten gebaut. Mitunter echt schräge Hütten!“ ergänzt er lachend. Die Rettungsschwimmer bekommen für ihre Arbeit einen Rettungsgurt, eine Rettungsboje namens „Torpedo“, einen Rettungsring, ein Rettungsboard, Schwimmflossen, eine Seilwinde und einen Sonnenschirm zur Verfügung gestellt. Die Surfshops am Strand übernehmen zusammen mit den dortigen Restaurants die Bezahlung der salvadores. Von den jeweiligen Gemeinden oder Behörden bekommen die Rettungsschwimmer kein Geld. Das verwundert umso mehr, als dass sich die Tourismusbranche in Portugal in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Wirtschaftszweig des Landes entwickelt hat – auch weil die Strände einen guten Ruf hinsichtlich ihrer Sicherheit genießen. Zumindest mehr Aufklärung wünscht sich Luis von der Regierung. „In Portugal machen Küste und Meer einen großen Teil des Landes aus. Als ich noch ein Kind war wurden die Menschen mit Broschüren, Cartoons und Filmen über das richtige Verhalten in diesen Regionen aufgeklärt.“ erklärt er. „Das wäre heute mit der steigenden Zahl an Touristen dringlicher denn je.“
Am kommenden Tag wird Ruben seinen freien Tag haben. Ob er sich nach sechs langen Arbeitstagen nicht sehnsüchtig darauf freue? „Nicht unbedingt.“, antwortet er. „Ich arbeite gerne. Schließlich habe ich meinen Arbeitsplatz im schönsten Büro der Welt!“ sagt er und strahlt dabei über das ganze Gesicht. „Für mich ist es wie im Paradies.“
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